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→ Die „romanischen“ Westportale des Bremer Doms – wahrscheinlich aus der Zeit der Spätgotik

Die Mittelschiffsgewölbe der Magdburger Liebfrauenkirche und des Bremer Doms

Der Magdeburger Erzbischof Albrecht von Käfernburg (*~1170, 1206–1232) hatte in Paris (und Bologna) studiert und kannte daher Bauten der frühen französischen Gotik, des Gothique primitif. Offensichtlich von diesen Eindrücken angeregt, initiierte er den Bau des gotischen Magdburger Doms. Durch Unsicherheiten beim Baubeginn (teilweise zwei Anläufe der Fundamentierung) und finanzielle Probleme schritt der Bau nur langsam voran, sodass Albrecht von seinem eigenen Projekt letztlich nur den Chorumgang mit den Radialkapellen zu sehen bekam. Als klar wurde, dass der Dombau sich lange hinziehen würde, ließ er die benachbarte, seit 1126/34 einem Prämonstratenserkloster gehörende Liebfrauenkirche zur Ersatzkathedrale herrichten, indem er in das Gemäuer aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gotische Mittelschiffsgewölbe einziehen ließ, dendrochronologisch auf 1221/1222 datiert. Deren sechsteiligen Doppeljochen haben große Ähnlichkeit mit denen des Gothique primitif, aber im Unterschied zu den waagerechten Scheiteln der französischen Vorbilder einen leichten Stich. Vergleiche hinsichtlich des äußeren Strebewerks sind dadurch beeinträchtigt, dass dieses bei vielen der französischen Bauten später verändert wurde. Heute sieht man dort überall eine Abstützung aller Pfeiler durch Strebebögen. An der Magdeburger Liebfrauenkirche sind die Obergaden nur durch Strebepfeiler abgestützt, die notwendigerweise auf den Gurtbögen der Seitenschiffe stehen. Das Mauerwerk der Strebepfeiler zeigt nur bei genauem Hinsehen Unterschiede zu den romanischen Wandflächen der Hoch- und Seitenschiffswände, aber die Höhenlagen der Steine und Fugen deuten an, dass sie nicht mit den Wänden verzahnt sind. Auffälligerweise werden durch diese Strebepfeiler nur die Ecken der Doppeljoche abgestützt, deren Zwischenpfeiler aber nicht. Die Obergaden blieben im Wesentlichen unverändert, jedoch wurden innen hinter den einzelnen Wandvorlagen Nischen aus den Mauern gestemmt, um durchgängige Laufgänge zu schaffen.

Weder das umfangreiche Dominventar von Heiko Brandl und Christian Forster, noch die Dissertation von Birthe Rogacki-Thiemann berücksichtigt die Liebfrauenkirche.
Magdeburg: Liebfrauenkirche, eingewölbt 1221/1222 (d)
Mittelschiff axial

Arkade und Obergaden

Obergaden mit Laufgang

Westlichste Strebepfeiler an nörd­li­chem Obergaden und Seitenschiff

Südseite: Strebepfeiler an Obergaden und Teil des Seitenschiffs
 
Bremen: St. Petri Dom, eingewölbt wohl ab 1224

Mittelschiff axial

Frühgotischer Obergaden mit Laufgang
auf romanischer Arkade


Romanische Arkade, Laufgänge
in geöffnetem frühgot. Obergaden
und spätgotischer Nordwand


Obergaden mit Strebebögen

Südquerhaus von Westen

Die frühgotische Einwölbung des Bremer Doms wird üblicherweise ab der päpstlichen Bewilligung eines Ablasses „zur Reparatur der Kirche“ 1224 angesetzt. Wie die Fensterformen andeuten und Materialuntersuchungen durch Ernst Ehrhardt (zwischen 1897 und 1901) bestätigten, wurden für diese Einwölbung die Obergaden großenteils ersetzt. Allerdings sind in der Westwand des Südquerhauses außen Spuren eines älteren Fensters zuerkennen. Die Doppeljoche innen haben sehr große Ähnlichkeit mit denen der Magdeburger Liebfrauenkirche. Aus der zeitlichen Abfolge heraus darf sie wohl als Vorbild angesehen werden. Die äußere Abstützung erfolgt durch Strebebögen, aber wie am Magdeburger Vorbild sind nur die Ecken der Doppeljoche außen abgestützt, nicht die Zwischenpfeiler. Die Bögen zur Abstützung der Zwischenpfeiler des Chors wurden erst 1916 angefügt, als sich zeigte, dass der bei der Domerneuerung um 1900 aufgesetzte Vierungsturm das Gebäude überlastete.

In manchen gedruckten Beschreibungen des Bremer Doms ist erwähnt, dass durch den nachträglichen Anbau der Kapellenzeile die Fialen der Strebebögen aus der Mitte der Seitenschiffsdächer kommen, aber keine erwähnt die außergewöhnliche Verteilung.

Deutliche Unterschiede zwischen beiden Kirchen zeigt die Führung der Laufgänge:
In Magdeburg sind die Vorlagen der gotischen Gewölbe oberhalb der romanischen Arkadenbögen durch eine Spitzbogenarkade verbunden, der alten Arkade vorgelagert. Diese Spitzbögen tragen die Laufgänge. An den Gewölbevorlagen sind aus den Hochschiffswänden Nischen herausgehauen worden, durch die der Laufgang jeweils hinten um die Gewölbevorlage herum geleitet wird.
In Bremen nehmen die Hochschiffswände infolge ihrer Erneuerung nur die Außenseiten der Arkaden ein. Auf deren Innenseiten verlaufen die Laufgänge. In ähnlicher Weise ist der Laufgang um den Chor angelegt, nur dass er hier auf der Innenseite der Außenwände verläuft. Die Seitenschiffsarme haben keine Laufgänge. Auf der Westseite des Südquerhauses ist der Rest eines romanischen Fensterbogens zu erkennen. Außergewöhnlich in den Wandaußenseiten des Südquerhauses sind die giebelähnlich geformten (aber kaum vorstehenden) Backsteineinlagen über den frühgotischen Fenstern.

Zu vergleichen ist weiterhin der Einsatz der Rundbogenfriese im Inneren. In Magdeburg zieren sie die die vorgelagerten Spitzbogenarkaden.
In Bremen befinden sie sich an den romanischen Arkaden und an den Außenwänden von Querhausarmen un Chor. Obwohl sie optisch mit der Form der Arkaden harmonieren, wurden sie offensichtlich erst bei der frühgotischen Einwölbung angebracht. Die Lage ihrer Bögen ist auf die Lisenen an den Pfeilern abgestimmt. Deren Breite wiederum berücksichtigt die Anzahl der ihnen vorgelagerten Gewölbedienste: An den Ecken der Doppeljoche mit drei Gewölbediensten sind diese Lisenen etwa 80 cm breit, an den Zwischenpfeilern mit einem Gewölbedienst etwa 8 cm schmaler, also um 72 cm breit.

Bei der Anlage des hohen spätgotischen Nordseitenschiffs ab1502 gab es mehrere Rückgriffe auf frühgotische Teile der Kathedrale: Es wurden frühgotische Kapitelle wiederverwendet, die neue Nordwand erhielt zwischen unterer und oberer Fensterreihe einen Rundbogenfries, und auf den Sohlbänken der oberen Fensterreihe wurde ein Laufgang angelegt.


Zweitwestlichster Bogen der Südarkade,
links Jochecke, rechts Zwischenpfeiler

Quellen:

Georg Dehio Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler:
Sachsen-Anhalt I · Regierungsbezirk Magdeburg, Dehio Vereinigung.
Deutscher Kunstverlag 2001, S. 557 ff.

Heiko Brandl, Christian Forster:
Der Dom zu Magdeburg. Band 1: Architektur.,
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2011,

Birte Rogacki-Thiemann:
Der Magdeburger Dom St. Mauritius et St. Katharina – Beiträge zu seiner Baugeschichte 1207 bis 1567.
Berliner beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 6
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007

Georg Dehio Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler: Bremen · Niedersachsen. Deutscher Kunstverlag, München 1992, S. 6–14.



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